Manchmal hat der Diabetes regelrecht ein Eigenleben und es entstehen immer wieder hohe Glukosewerte. Mal ist es, weil man sich beim Essen verschätzt hat und es doch mehr war als gedacht und mal erschließt sich die Ursache auch einfach nicht. Gut also, dass es den Korrekturfaktor gibt, mit dem man die Glukose-Ausreißer wieder einfangen und in den Zielbereich zurückholen kann.
Aber nun erst einmal von Anfang an. Bei einer sogenannten intensivierten Insulintherapie wird in der Regel vor dem Essen ein kurz- oder schnell wirkendes Bolusinsulin und zusätzlich ein- bis zweimal täglich ein langwirkendes Basalinsulin gespritzt. Das Bolusinsulin umfasst hierbei das Mahlzeiteninsulin und das Korrekturinsulin. Für diejenigen, die Kohlenhydrate berechnen, wird der sogenannte Kohlenhydratfaktor bzw. das Kohlenhydrat- zu Insulin-Verhältnis zu Beginn der Insulintherapie durch den Arzt oder die Ärztin festgelegt. Und auch der Korrekturfaktor wird mit dem Start der Therapie definiert. Einige Patientinnen erhalten diesen in Form eines Planes, der ihnen aufzeigt, bei welcher Höhe des Glukosewertes sie wie viele Einheiten des Insulins nehmen sollen und andere berechnen die nötige Korrekturmenge mit Hilfe des Faktors selbst.
In jedem Fall gilt aber folgende Definition:
👆 Der Korrekturfaktor (Insulin-Korrekturfaktor) gibt an, wie viel eine Einheit Insulin den Glukosespiegel senkt. Das Korrekturinsulin ist also das Insulin, welches benötigt wird, um erhöhte Glukosewerte wieder in den Zielbereich zu bringen.
Viele Menschen nutzen den ganzen Tag den gleichen Korrekturfaktor. Da es aber bei jedem Menschen auch tageszeitabhängige Schwankungen der Insulinwirkungen gibt, kann es auch hilfreich sein, mit tageszeitabhängigen Korrekturfaktoren zu arbeiten.
Passt man die Faktoren an den tageszeitlichen Rhythmus an, so sehen bei vielen Erwachsenen mit Diabetes die Korrekturfaktoren so aus:1
Morgens (5-10 Uhr) | 30-50 mg/dl (1,7-2,8 mmol/l) |
Mittags (10-16 Uhr) | 50-70 mg/dl (2,8-3,9 mmol/l) |
Abends (16-22 Uhr) | 30-50 mg/dl (1,7-2,8 mmol/l) |
Nachts (22-5 Uhr) | 50-70 mg/dl (2,8-3,9 mmol/l) |
Diese Werte können individuell auch abweichen, je nachdem, wie sensibel eine Person für die Insulinwirkung ist oder wie ausgeprägt eine vorhandene Insulinresistenz ist. Mit Hilfe einer Formel kann man eine grobe erste Orientierung bekommen, wie viel eine Einheit Insulin den Glukosespiegel bei Erwachsenen senken kann. Individuell sollte dies jedoch mit dem Diabetesteam abgestimmt werden. Bei Bedarf kann dieser auch durch Tests und Erfahrungswerte an den wechselnden Insulinbedarf zu den unterschiedlichen Tageszeiten angepasst werden.
Bei mg/dl: 1800/ gesamten Insulintagesbedarf (Bolus + Basalinsulin) = Korrekturfaktor in mg/dl Bei mmol/l: 100/ gesamten Insulintagesbedarf (Bolus + Basalinsulin) = Korrekturfaktor in mmol/l
Bei mg/dl: 1500/ gesamten Insulintagesbedarf (Bolus + Basalinsulin) = Korrekturfaktor in mg/dl Bei mmol/l: 83/ gesamten Insulintagesbedarf (Bolus + Basalinsulin) = Korrekturfaktor in mmol/l |
Falls dich die Formeln verwirren, hier nun ein praktisches Beispiel für Stephan, der seinen Korrekturfaktor berechnen möchte:
- Um deinen gesamten Insulintagesbedarf zu berechnen, addiere dein Mahlzeiteninsulin und dein langwirksames Basalinsulin zusammen. 10 Einheiten zum Frühstück, 6 Einheiten zum Mittagessen, 9 zum Abendessen vom kurzwirksamen Insulinanaloga und 25 Einheiten vom langwirksamen Insulin, das als Basisversorgung gespritzt wird. -> 10 + 6 + 9 + 25 = 50 Einheiten Insulintagesbedarf
- Korrekturfaktor (für jemanden, der in mg/dl rechnet) = 1800/50 = 36 mg/dl
Daher würde eine Einheit eines schnell wirkenden Analoginsulins Stephans Glukose in den nächsten 2 bis 4 Stunden um 36 mg/dl senken.
Die Faktoren können sich mit der Zeit ändern:
Wichtig zu wissen ist, dass der Insulinbedarf nicht immer gleich bleibt. Sowohl der Bedarf an Bolusinsulin, als auch der basale Insulinbedarf kann sich durch Gewichtsschwankungen oder hormonelle Veränderungen mit der Zeit verändern.
👆 Daher ist es sinnvoll, die Korrekturfaktoren zu prüfen, wenn 2-3 Stunden nach Abgabe des Korrekturinsulin(bei einem kurzwirksamen Insulinanaloga) die Glukosewerte nicht wieder in den Zielbereich gelangen.
Bevor du dir den Korrekturfaktor jedoch genauer ansiehst, begutachte deine Injektionsstellen. Kannst du Verhärtungen tasten oder Erhebungen vor dem Spiegel sogar sehen? Falls ja, dies könnten sogenannte Lipohypertrophien sein, in denen das Insulin nur zeitverzögert aufgenommen und wirksam wird. Hier wäre zuallererst mal ein Stellenwechsel empfohlen und wieder eine verlässliche Insulinwirkung zu erhalten.
Wenn du grundsätzlich mit hohen Werten kämpfst, prüfe im ersten Schritt, ob die Basalinsulindosis ausreichend ist, um die Werte auch ohne Mahlzeiten stabil im Zielbereich zu halten. Eine Anleitung zu einem Test hierzu findest du in folgendem Artikel. Teste dann im nächsten Schritt auch die Kohlenhydratfaktoren.
Der Korrekturfaktor-Test:
Vor dem Test beachten:
Starte den Test, wenn dein Glukosewert deutlich erhöht ist und du bis zur nächsten Mahlzeit einige Stunden warten kannst. Kleine Proteinmengen wie ein paar Nüsse, etwas Käse oder ein gekochtes Ei können auch während des Testes gegessen werden.2
- Ausgangsglukosewert über 200 mg/dl (11,1 mmol/l) (Wert sollte nicht länger als 4 h erhöht sein.)
- Keine Insulingabe
- 3-4 Stunden vor dem Test bei Verwendung von kurzwirksamen Insulinanaloga
- 5-6 Stunden vor dem Test bei Verwendung von Normalinsulin4
- Letzte Mahlzeit liegt 3 Stunden zurück.2
- Keine Werte < 70 mg/dl (4 mmol/l) in den letzten 6 Stunden
- Keine außergewöhnliche körperliche Aktivität Aktivität vor dem Test oder beim Test
- Kein Alkohol in den letzten 12 Stunden.
- Test nicht bei starkem Stress oder fieberhaften Erkrankungen durchführen.
- Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes sollte keine Stoffwechselentgleisung mit Ketonen vorliegen.
Durchführung des Test:
- Korrigiere den erhöhten Glukosewerte mit deinem aktuellen Korrekturfaktor auf den Zielwert 100 mg/dl (5,6 mmol/l) oder nehme den für dich festgelegten Zielwert.2
- Keine Kohlenhydratzufuhr während des Testes.
- Keine außergewöhnliche Aktivität während des Testes.
- Die Kontrolle der Glukosewerte erfolgt stündlich bis zu 5 Stunden nach dem Start der Mahlzeit.
- Im Falle einer Unterzuckerung <70 mg/dl (3,9 mmol/l) den Test unbedingt abbrechen und Traubenzucker einnehmen!
- Bei steigendem Glukosewert trotz Korrektur muss der Test ggf. abgebrochen und eine weitere Korrekturdosis verabreicht werden.
Auswertung des Test:
Der Korrekturfaktor ist korrekt, wenn der hohe Glukosewert durch die Korrektur nach einigen Stunden in den Zielbereich zwischen 80-130 mg/dl (3,9-6,8 mmol) gesenkt werden kann.2 (bei kurzwirksamen Analoginsulin nach ca. 3h, bei Normalinsulin nach ca. 5h)
Der Korrekturfaktor stimmt nicht, wenn der Glukosewerte nach einigen Stunden weiter erhöht ist oder unterhalb des Zielbereiches liegt. In diesem Fall entscheide zusammen mit deinem Diabetesteam wie ihr den Korrekturfaktor anpassen könnt um ihn dann erneut zu testen.
Der Aufwand lohnt sich
Den Korrekturfaktor zu prüfen, wenn es mal nicht mehr so gut läuft mit der Therapie, ist aufwändig. Aber es ist die Mühe wert, denn so kannst du die Insulintherapie optimieren und die entgleisten Glukosewerte wieder in den Zielbereich zurückholen.
Auch wenn es nicht auf Anhieb mit den angepassten Faktoren hinhaut, nicht das Handtuch werfen. Teste ein paar Tage die neuen Faktoren und prüfe, ob nach den Korrekturen erhöhter Glukosewerte der Zielbereich erreicht wird.
Geduld ist auch beim Aushalten hoher Werte gefragt. Korrigiere nicht mehrfach kurz hintereinander. Gib dem Insulin Zeit zu wirken. Wer mehrfach kurz hintereinander korrigiert, erhält eine Überlappung der Wirkkurven und geht das Risiko einer Unterzuckerung ein.
Der Korrekturfaktor ist übrigens auch ein wichtiger Parameter, den man bei Programmierung eines Bolusrechners benötigt. Ein Bolusrechner kann im Alltag insbesondere bei wechselnden Korrekturfaktoren eine hilfreiche Unterstützung sein!
Quellen:
[1] Thurm, Ulrike, Gehr, Bernhard (2020) CGM- und Insulinpumpenfiebel, (4.Auflage), Mainz
[2] Walsh, John et.al. (2017). Pumping Insulin, everything for success on a pump and CGM. (6.Auflage), San Diego
[3] Warshaw, (2008) 2nd edition, Practical Carbohydrate Counting: A How-to-Teach Guide for Health Professionals, American Diabetes Association, p. 61
https://doi.org/10.2337/dc23-S006
[4] SUBITO Schulungsprogramm (Schulungsporgamm für die Insulinpumpentherapie)
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