Vielleicht ist den tüchtigen Monsterzähmern unter euch dieses Phänomen auch schon aufgefallen? Ihr habt alles ganz gut im Griff, habt euren Blutzucker im Großen und Ganzen gut unter Kontrolle – wenn da nicht die hohen Nüchternglukosewerte wären. Hierfür kann es verschiedene Erklärungen geben.
1. Basalinsulin
Allem voran kann es natürlich sein, dass die nächtliche Insulinmenge einfach nicht ausreicht, um den Zucker nicht ansteigen zu lassen, sprich irgendwas stimmt mit der Basalrate bzw. der Menge des Basalinsulins nicht.
Wofür brauchen wir überhaupt das Basalinsulin? Hier noch einmal kurz die Basics: Die Leber und die Nieren geben zwischen den Mahlzeiten und nachts, kontinuierlich etwas Zucker ins Blut ab, um den Blutzucker auf einem gewissen Level zu halten.
Je nach Gewicht sind das 8-12g Zucker/ Stunde. Selbstverständlich braucht es für diesen Zucker Insulin damit er in die Zellen transportiert werden kann. Für diesen kontinuierlichen Glukosefluss wird das basale Insulin benötigt, was üblicherweise 50 % (mit einer gewissen individuellen Bandbreite von 40 bis 60%) unseres gesamten Insulinbedarfs ausmachen sollte. [1]
Und natürlich kann sich der Bedarf mit der Zeit verändern. Zum Beispiel bei Erkältung oder Fieber, was wahrscheinlich jeder schon mal an seinen Werten erkennen konnte. Benötigte Veränderungen können aber auch “schleichend” auftreten, wenn wir Gewicht zu- oder abnehmen, älter werden oder sich die Hormone verändern wie in den Wechseljahren bei Frauen oder in der Pubertät.
2. Dawn Phänomen
Bei fast jedem Menschen steigt der basale Insulinbedarf in den frühen Morgenstunden (meist zwischen 3 und 6 Uhr) [2] etwas an. Das ist auch ganz normal. Dieser frühmorgendliche Anstieg wird Dawn-Phänomen genannt und kann von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Die Ursache dafür ist eine vermehrte Ausschüttung von Wachstumshormonen, Adrenalin, Cortisol & Glukagon, welche auch als Gegenspieler von Insulin bekannt sind. Das ist mit Basalinsulinen oft nicht ganz leicht zu lösen, aber eine Insulinpumpe kann hier dem gesteigerten Insulinbedarf entsprechend gezielt mehr Insulin stundengenau abgeben.
3.Schlafqualität
Nun zum Thema Schlaf: Wer gestresst ist, schläft oft auch schlecht und gar zu wenig (unter 6 h) [3] und hat dann häufig höhere Cortisolspiegel. Wir erinnern uns: Cortisol und Insulin sind nicht die besten Freunde, denn Cortisol wirkt dem Insulin entgegen Das Resultat sind erhöhte Blutzuckerwerte.
Ca. 1,5 Stunden nach dem Hinlegen reduziert sich unser Insulinbedarf durchschnittlich um 30 %. Manchmal kann dies auch schneller gehen und man erwacht aus seinem gemütlichen Nachmittagsschlaf auf der Couch mit einer Unterzuckerung.
Nachts haben wir in der Regel zwischen 2 und 3 Uhr den geringsten Insulinbedarf. Beim Aufstehen geht der Insulinbedarf dann wiederum sprunghaft in die Höhe, was an Hormonen liegt, die auch den Blutdruck regulieren. Die, die ein kontinuierliches Glukose Messsystem (CGM) tragen, können solche Verläufe besonders gut unter die Lupe nehmen.
Für manche kann eine kleine Menge schnellwirksames Insulin direkt nach dem Aufstehen die Anstiege ausgleichen. Das kann besonders für diejenigen helfen, die morgens erst deutlich später frühstücken.
4. Abendessen, Eiweiß und Fett
Und wer kennt es nicht, man kommt spät von der Arbeit heim mit einem monstermäßigen Hunger und dann wird noch kurz vorm Schlafen geschmaust. Nachts im Liegen verdauen wir sehr langsam und dann kann sich das üppige spätabendliche Mahl als hoher Nüchternwert rächen.
Und besonders wenn die Mahlzeit große Eiweiß- und Fettmengen enthält, wie beispielsweise einem Holzfällersteak mit Salat, ist mit dem Blutzuckeranstieg sehr verzögert zu rechnen. Der Proteinanteil unserer Nahrung hat Einfluss auf die Blutzuckerwerte, nur eben zeitverzögert.
Je nach Menge steigt der Zucker nach ca. 3-8 Stunden an. Zum einen werden blutzuckerwirksame Eiweißbausteine (Aminosäuren) selbst in Glukose umgewandelt, aber es gibt auch Aminosäuren, die zu einer vermehrten Glukagonfreisetzung führen, was die Leber veranlasst mehr Zucker auszuschütten. Also halte die abendlichen Portionen im Blick oder lies im Artikel zur FPE Berechnung wie man damit umgehen könnte
5. Vergessenes Snack Insulin
Ein wenig YouTube hier, ein wenig Netflix dort. Oft verbinden wir die Zeit vor dem Bildschirm mit leckeren Snacks, die den Fernsehabend erst so richtig entspannt machen. Und Entspannung tut gut. Allerdings kann es auch manchmal tückisch sein, denn spätabendliches oder nächtliches Snacken kann ebenfalls hinter hohen Nüchtern-Werten stecken. Vor allem, wenn das Insulin dabei vergessen wird.
Tipp: Bestenfalls nicht snacken (ok ok, kein guter Tipp ;)). Wenn es aber sein muss, dann unbedingt an das Insulin denken. Jede BE/KE erhöht den Zucker um ca 30-50 mg/dl (1,7-2,8 mmol/l) und das ist mit ein paar Chips oder Erdnussflips schnell mal erreicht.
6. Hohe Werte am Abend
Manch einer startet aus verschiedensten Gründen auch schon mit einem hohen Wert in die Nacht. Hier sollte man immer an einem guten Ausgangswert für die Nacht arbeiten.
Die Menge des Basalinsulins passt, wenn das Insulin den Zucker stabil hält oder bei Werten unter 180 mg/dl (10 mmol/l) aufgrund des Massenwirkungsgesetzes (hier passiert ein Konzentrationsausgleich der Glukose außerhalb und innerhalb der Zelle) auch bis auf 120 mg/dl (6,7 mmol/l) absenkt. Wer jedoch mit hohen Werten in die Nacht startet, kommt häufig morgens auch hoch an.
7. Nächtliche Unterzuckerungen
Zu guter Letzt kann hinter einem hohen Nüchternwert auch eine nächtliche Hypoglykämie (Unterzuckerung) stecken. Während einer Hypoglykämie wird Adrenalin freigesetzt, was zu einer Zuckerfreisetzung aus der Leber führt und den Zucker zeitverzögert ansteigen lässt. Um das zu checken, hilft ein nächtlicher Glukose-Check zwischen 2 und 3 Uhr.
Quellen:
[1] Rosak C. et al, Angewandte Diabetologie 5. Auflage, 2014
Walsh J., Roberts R., Carma C., Bailey T,. Using Insulin, 2003
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Dawn-Ph%C3%A4nomen#:~:text=Unter%20dem%20Dawn%2DPh%C3%A4nomen%20(von,Gegenspielern%20des%20Insulins%20bedingt%20ist.
[3] Cappuccio, F. P., D’Elia, L., Strazzullo, P., & Miller, M. A., Quantity and Quality of Sleep and Incidence of Type 2 Diabetes: A systematic review and meta-analysis, 2019, Diabetes Care, 33(2), 414–420. doi:10.2337/dc09-1124 https://care.diabetesjournals.org/content/33/2/414
Dieser Artikel wurde im September 2020 überarbeitet.
Die mySugr Website bietet keine medizinische oder rechtliche Beratung. mySugr Blog-Artikel sind keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern dienen lediglich der Information.
Die medizinischen oder ernährungswissenschaftlichen Informationen auf der mySugr Website ersetzen keine ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung. Wendet Euch bei allen Fragen, die Ihr hinsichtlich einer Erkrankung habt, stets an Eure Ärztin bzw. Euren Arzt.