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Alltag mit Diabetes

10-1 Fragen an Tina – Rückblick auf 40 Jahre mit Diabetes

24.10.2018 von Lisa Strohmeier

10-1 Fragen an Tina – Rückblick auf 40 Jahre mit Diabetes

Anlässlich des Weltdiabetestag wollen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen und uns ansehen, wie die Diabetestherapie zu dem geworden ist, was sie heute ist.

Wie haben Menschen, die schon einige Jahre mit Diabetes auf dem Buckel haben, Fortschritt und Entwicklung miterlebt? Welche spannenden und lustigen Geschichten können sie möglicherweise mit uns teilen? Dazu haben wir jemanden ganz Besonderen aus unserer Monster-Community befragt: Tina aus Hessen, Diabetikerin seit Sommer 1979. Nächstes Jahr kann Tina bereits ihr 40 jähriges Jubiläum feiern! Bereit für eine kleine Zeitreise?

Tina, der Tag deiner Diagnose liegt fast 40 Jahre zurück. An was erinnerst du dich?

Ich war damals 4 Jahre alt. Meine Schwester und ich hatten zeitgleich die „Kinderkrankheit Mumps“. Ich bin aufgrund wiederkehrender Harnwegsinfekte mit Antibiotika behandelt worden. Das Schöne am „gemeinsamen Kranksein“ war, dass wir zusammen in einem Bett lagen und von dort aus den wunderschönen großen Apfelbaum vorm Fenster bewundern konnten. Eigentlich echt idyllisch! Doch während meine Schwester langsam wieder zu Kräften kam, habe ich mich nicht richtig erholt und war immer noch schlapp und müde. Dazu kamen ein riesengroßer Durst und ständige Toilettengänge. Die typischen Symptome eben. Nach einem Urintest aus der Apotheke war die Sache dann auch klar: Der Teststreifen verfärbte sich in seine schönsten Töne und so fuhren wir sofort zum Hausarzt und von dort geradewegs in die Kinderklinik - und da musste ich dann vorerst bleiben! Diese Erfahrung war überhaupt nicht schön, denn welches Kind möchte schon in einem Krankenhaus bleiben müssen? Kleiner Wermutstropfen: im Krankenhaus lernte ich Klaus kennen, der mir das Rülpsen beibrachte. Wunderbar. Ab sofort konnte ich auf Kommando und sehr laut rülpsen. Ab sofort war ich als Rülps-Weltmeisterin bekannt und sicherte mir jede Menge Respekt unter den männlichen Altersgenossen.

Wie sahen deine Therapie und dein Alltag nach der Diagnose dann aus?

Das kann man sich heutzutage ja gar nicht mehr vorstellen! Es war alles anders! Die Therapie bestand aus einem strengen Diätplan und Insulininjektionen 2x täglich: eine morgens und die andere abends. Gegessen wurde nach der Wirkungskurve des Insulins und nicht „al gusto“. Ich kann mich immer noch gut an die grüne Waage in unserer Küche erinnern. Es musste wirklich alles abgewogen werden … und bloß keinen Zucker ... und bloß kein Fett.

Wie konntest du deinen Blutzucker kontrollieren? Gab es schon die Möglichkeit einer Selbstkontrolle?

Wahnsinn - darüber darf ich gar nicht nachdenken. Blutzucker testen unterlag in der damaligen Zeit dem Hoheitsgebiet des Arztes. Was wir heutzutage so oft täglich machen, bei Bedarf, wenn wir uns schlecht fühlen oder kontinuierlich mittels CGM, wurde bis ca. Mitte der 80er Jahre lediglich einmal im Monat während des Besuches in der Kinderklinik vorgenommen. Die Selbstkontrolle zu Hause erfolgte durch viermalige Urinkontrolle mittels Pipette, Reagenzglas und Stoppuhr und dem Abgleich des Reagenzgläschens mit einer Farbskala.

Hatte man dir geraten, eine spezielle Diät zu halten? Wie sahen deine Essgewohnheiten aus?

Wir Diabetiker waren echte Essens-Außenseiter. Zu Geburtstagen wurde ich mit einem Stück Diabetiker-Kuchen geschickt. Meine Schulzeit war geprägt von abgewogenen und fein säuberlich mit Uhrzeit und Aufkleber versehenen Pausenbroten. Leider war man durch die Mischinsuline ja auch extrem an Uhrzeiten gebunden und so kam es auch häufig vor, dass ich während des Unterrichts essen musste - super peinlich! Knistergeräusche und Kommentare der Mitschüler „Warum darf die essen?“. Im Gegensatz kam es auch schon mal vor, dass ich bei Familienfeiern mit einem Glas Wasser oder einer zuckerfreien Limonade am Tisch sitzen musste, während der Rest meiner Familie leckere Köstlichkeiten verspeiste. Immer aufzufallen war echt sehr unangenehm. Selbst auf dem Einschulungsfoto ist meine Diabetiker-Brezel viel kleiner, heller und schrumpeliger als die “normalen” Brezeln.

Wie hat sich deine Diabetestherapie im Laufe der Jahre entwickelt? Kannst du dich an bestimmte Meilensteine in deiner Diabetestherapie erinnern?

Jaaaaaaaaaaaaa - da fallen mir gleich ein paar ein! Erste, super wichtige Errungenschaft: Es gab das Blutzuckergerät für zu Hause. Riesige Trümmer, aber man konnte viel genauer an seiner Diabeteseinstellung arbeiten. Kein Kaffeesatz lesen mehr, sondern reale BZ-Werte in Echtzeit. Das zweite, absolute Highlight aber war die Einführung der neuen intelligenten Insuline. Die Unterscheidung in Basal und Bolus Insulin. Die Einführung der ICT. Die Revolution der Diabetestherapie. Bananen für alle! Endlich durften wir Diabetiker alles essen, was uns schmeckte. Wir mussten nur Essensvokabeln lernen, glykämische Indexe kennen und Kopfrechentraining für KE-Multiplikation mit dem je nach Tageszeit benötigten Bolus plus eventuelle Korrektur anwenden. Noch viele weitere kleinere Erfindungen und Verbesserungen haben meinen Alltag mit Diabetes auch noch weiter erleichtert: Die Messgeräte wurden immer kleiner und schneller. Früher hatten wir noch Einwegspritzen und mussten Mischinsuline rollen. - Also die Einführung der Insulinpens - Super! Keine lästigen Spritz-Ess-Abstände mehr. Und in jüngster Vergangenheit die zahlreichen digitalen Hilfsmittelchen. Aber wenn ich ehrlich bin, hat mich das nie wirklich gestört, auf gewisse Sachen verzichten zu müssen. Für mich persönlich war dieses Auffallen und Anderssein sehr belastend. Wunderbar, dass die Außenseiterstellung endlich ein Ende hatte!

Was würdest du als den “größten Fortschritt” in der Behandlung von Diabetes bezeichnen? Und inwieweit hat dieser dein Leben verbessert?

Wie vorher schon kurz angeschnitten habe: Endlich nicht mehr auffallen! Außerdem viel freier sein! Ich reise total gerne. Alles kein Problem. Auch bei Zeitverschiebungen; entweder mit Pumpentherapie oder anpassen der Basalrate. Ernährung in anderen Ländern? Auch easy! Ich muss einfach die KE des entsprechenden Nahrungsmittels lernen und dafür spritzen. Die Angst vor Folgeerkrankungen: auch minimal. Durch die Behandlungsmöglichkeiten auf dem heutigen medizinischen hohen Niveau! Marginal, oder?

Aus heutiger Sicht: Welche Geschichten fallen dir ein, wenn du zurückdenkst, die du aufgrund deines Diabetes erlebt hast?

Och, da gibt es schon ein paar. In der nicht so aufgeklärten Zeit, wollte mich kein Lehrer ohne Elternteil mit auf Klassenfahrt nehmen, da ihm das Risiko zu groß war. Es gab schon auch doofe Sprüche. Eine Freundin ekelte der Geruch von meinem Insulin. In Frankreich, beim Schüleraustausch, musste ich beim Rektor vorsprechen, da meine entsorgte Einwegspritze im Mülleimer zu Missverständnissen führte. Es gab auch eine Zeit, da riet man mir das Bolusinsulin in den Muskel spritzen (BITTE NIEMALS NACHMACHEN!). Das führte auch des Öfteren zu Missverständnissen, “die spritzt!“. Als ich genug von der Borniertheit vieler Menschen hatte, ließ ich meine Spritze bei blöden Kommentaren auch manchmal provokativ im Muskel stecken. Im Sommerurlaub nutzte ich diese Methode auch mal, um einen freien Tisch im Restaurant zu bekommen. Würde ich heute aber natürlich nicht mehr machen.

Inwieweit hätte es den Verlauf deines Lebens beeinflusst, wenn damals die Medizin schon am heutigen Stand gewesen wäre?

Das weiß ich leider nicht. Ich war ja noch so klein. Inwieweit haben mich die Restriktionen und Behandlungsmöglichkeiten der damaligen Zeit geprägt? Ich glaube, mein Leben wäre genauso verlaufen.Vielleicht wäre ich ohne Diabetes grundsätzlich gechillter, denn die Erkrankung prägt. Das viele Mitdenken! Und der ständige Druck! Aber: es ist wie es ist. Und es gibt wirklich so viele andere schreckliche Krankheiten. Wir dürfen leben und können das sehr gut. Wir müssen uns nur anstrengen, kümmern und an Spielregeln halten. Außerdem haben wir das Glück, den Diabetes in einem Land mit hohen sozialen Standards zu haben: Wir haben Zugang zu jeglichen Behandlungsmöglichkeiten und Insulin und unsere Krankenkasse unterstützt uns auch!.

Was ist dein größter Wunsch für die Zukunft? Was würdest du anderen da draußen gerne mit auf den Weg geben?

Zusammenfassend kann ich sagen, dass man wissen muss: mit Diabetes geht alles! Es gibt keine Einschränkungen. Die Schranken sind nur im Kopf, a state of mind. Niemals den Mut verlieren, immer gut geschult sein und sich selbst auch mal auf die Schulter klopfen! Ich wünsche mir, dass kein Diabetiker auf der Erde mehr sterben muss, weil er kein Geld hat, um Insulin zu zahlen. Ich las kürzlich von einem indischen Mädchen, das sterben musste, weil seine Familie kein Geld für Insulin hatte. Ist das nicht traurig? Ich würde gerne zukünftig Sozialprojekte unterstützen, um sowas zu verhindern!

Life for a child

Wenn ihr auch anderen Diabetikern helfen wollt, die leider keinen Zugang zu Teststreifen und vor allem dem lebenswichtigen Insulin haben, würden wir euch die Organisation Life for a child gern ans Herz legen. Life for a child sammelt für Kinder und junge Erwachsene mit Typ-1 Diabetes in Entwicklungsländern, um sie mit den nötigen medizinischen Produkten zu versorgen. Mit einer kleinen Spende unter unter diesem Link kann jeder einen Beitrag leisten, damit hoffentlich irgendwann niemand mehr wegen seiner Diabetes-Erkrankung an schlimmen Folgen leiden, oder gar sterben muss. Um das ganze mal mit einem Zitat von Frederick Banting abzuschließen: "Insulin does not belong to me, it belongs to the world!"

Die mySugr Website bietet keine medizinische oder rechtliche Beratung. mySugr Blog-Artikel sind keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern dienen lediglich der Information.
Die medizinischen oder ernährungswissenschaftlichen Informationen auf der mySugr Website ersetzen keine ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung. Wendet Euch bei allen Fragen, die Ihr hinsichtlich einer Erkrankung habt, stets an Eure Ärztin bzw. Euren Arzt.

Lisa Strohmeier

Lisa ist Studentin aus dem wunderschönen Graz und für ein paar Monate im Rahmen des Studiums im mySugr HQ in Wien. In Sachen Diabetes, der sie schon ihr halbes Leben begleitet, ist Lisa, wie sie es selbst bezeichnet, noch "Old School" mit Pen und Fingerpiksen unterwegs.